17. Mai 2017, Berlin - Kolumne
In aller Bescheidenheit: Das Thema „Desinformation“ hatte der ASW Bundesverband schon diskutiert, als von „postfaktisch“ oder „alternativen Fakten“ noch niemand gesprochen hatte. Gefühlt vergeht inzwischen kein Tag mehr, an dem nicht über Fake News und Social Bots gesprochen wird. Es ist gut, dass das Thema breite Beachtung findet; allerdings wird es derzeit vor allem vor einem politischen Hintergrund diskutiert: Wie werden Wahlen oder politische Stimmungen beeinflusst?
Doch Desinformation ist ein Thema, mit dem sich auch die Unternehmenssicherheit auseinandersetzen sollte. Denn auch Unternehmen können auf ganz unterschiedliche Art und Weise Opfer von Desinformationen werden.
Dazu ein einfaches fiktives Beispiel aus einer Branche, in der man vielleicht am wenigsten mit solchen Methoden rechnen würde: Ein mobiler Pflegedienst ist seit Jahren der einzige Anbieter in einem bestimmten Einzugsgebiet. Als ein Wettbewerber hinzukommt, merkt man zunächst kaum eine Veränderung. Doch plötzlich kommen kaum neue Aufträge rein. Nach ein wenig Recherche erfährt der bisherige Platzhirsch, dass negativ über sein Unternehmen gesprochen wird. Da bei ihm selbst keine Beschwerden ankommen, wundert er sich und geht von einem Irrtum aus und der Sache nicht weiter nach. Erst, als er vermehrt darauf angesprochen wird, dass im Internet viele, sehr negative Einträge über ihn zu finden sind, recherchiert er. Bislang war er weder mit Werbung noch mit Beiträgen im Internet präsent und hat sich dort auch kaum aufgehalten.
Nun findet er in zahlreichen Foren und auf Blogs negative Einträge zu seinen Leistungen. Von menschenunwürdigem Verhalten der Mitarbeiter ist die Rede, von Abzocke. Über eine drohende Insolvenz wird spekuliert. Selbst sein Privatleben wird diskutiert – einer will von einer drohenden Scheidung gehört haben.
Aus diesem fiktiven Beispiel sollte eine Unternehmenssicherheit für sich die Frage ableiten, ob es das digitale Abbild seines Unternehmens kennt. Ist bekannt, wer „da draußen“ Meinung macht?
Desinformation gab es in Form von übler Nachrede, dem Streuen von Gerüchten oder gezielter Propaganda schon immer. Doch mit dem zunehmenden Gewicht von Social Media ergeben sich hier ganz andere Möglichkeiten. Während in Zeiten von Desinformation 2.0 Menschen dafür bezahlt wurden, im Internet böse Kommentare zu schreiben, um Gegner nieder zu machen – die Trolle – oder positive Bewertungen abzugeben, um Produkte oder Meinungen zu loben, ist die Technik inzwischen deutlich weiter. In Zeiten von Desinformation 3.0 lassen sich diese Prozesse automatisieren. Damit wird teure menschliche Arbeitskraft mehr und mehr überflüssig – und Manipulation somit immer günstiger.
Falsche Meldungen können automatisiert erstellt werden. Entsprechende Autorenprofile werden automatisiert generiert und agieren auch vollautomatisch. Sie springen auf bestimmte Hashtags an und produzieren Content – genügend, um gegenteilige Meinungen zu verdrängen. Social Bots sind hier das Stichwort.
All das ist mit sehr wenig technischem Sachverstand und einem recht geringen Mitteleinsatz möglich. Wer Geld und Ressourcen zur Verfügung hat, kann leicht mittelständische Unternehmen rein über Desinformationskampagnen in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Man braucht dafür keine Systeme zu hacken, keine IT-Kenntnisse oder sonstiges Fachwissen. Man braucht nicht einzubrechen oder etwas zu stehlen. Es bedarf keines Anrufes oder sonst irgendeines Kontaktes mit dem Ziel. Die Hemmschwelle ist extrem gering, da viele sich nicht einmal einer Straftat bewusst sind, – und ihr Entdeckungsrisiko sehr niedrig.
Kaum ein Unternehmen ist bisher darauf vorbereitet.
Der US-Wahlkampf hat gezeigt, wie leistungsfähig die Waffe Desinformation ist. Es wäre töricht anzunehmen, sie würde nicht auch gegen Unternehmen eingesetzt. Ob von Konkurrenten, ehemaligen oder frustrierten Mitarbeitern, Kriminellen, die beispielsweise auf fallende Aktienkurse setzen, oder von fremden Mächten – die Zahl möglicher Angreifer ist groß.
Der ASW Bundesverband wird sich mit dem Thema „Desinformation“ verstärkt auseinandersetzen. So wird auch auf der 11. gemeinsamen Sicherheitstagung mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz am 27. April in Berlin Desinformation wieder ein Thema sein. Der dritte Deutsche Sicherheitstag am 8. November, ebenfalls in Berlin, wird Desinformation schwerpunktmäßig behandeln.
Desinformation wird eine zentrale Bedrohung im 21sten Jahrhundert für deutsche Unternehmen sein. Die Unternehmenssicherheit sollte sich jetzt darauf einstellen. Der ASW Bundesverband steht Ihnen dabei zur Seite.
Autor: Jan Wolter
Quelle: Mai 2017 Ausgabe PROTECTOR&WiK